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Mit Charles Darwin ist ein
Weltbild zu Bruch gegangen. Es sah den Menschen gründlich geschieden von
allem anderen Leben und alle Tierarten unverändert seit sie die Arche
Noah verlassen hatten. Er hat lange gezögert, bis er seine Erkenntnisse
veröffentlichte. “Ich komme mir vor als gestehe ich einen Mord … ”
schrieb er kurz vor der Veröffentlichung seines bahnbrechenden Werkes
vom “Ursprung der Arten …” Wollte er ursprünglich die
animalische Identität des Menschen beweisen, kam er doch
wissenschaftlich zu anderen Schlüssen: “In seiner Arroganz glaubt der
Mensch, er sei ein großartiges Werk, das des Eingriffs einer Gottheit
wert ist, bescheidener und, so glaube ich, richtig ist es, ihn aus den
Tieren erschaffen zu betrachten.”
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Wieso bescheidener? Warum ist der Gedanke, dass der Mensch ein Tier
sei so angstbesetzt und immer mit einer angeblichen Herabsetzung des
Menschen verbunden? Warum weisen wir so vehement von uns, was wir sind:
Wirbeltier, Primate, Hominide – die tief emotionalen Teile unseres Gehirns stammen sogar aus der Reptilienzeit. Wir tragen die Evolution in uns wie jedes andere Wesen.
Ist es die Angst des Menschen, das Tier auch in sich zu fühlen? – das
Unkontrollierbare und Animalische, das Bestialische, das angeblich immer
wieder durchbricht und den Menschen “vertiert”. Die Angst vor dem
Fremden und Wilden, Unzivilisierten und Ungezähmten, die Welt der Triebe
und des Unbewussten, des Sexuellen, der Körper überhaupt, den der Geist
nicht in den Griff bekommt …
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“Der Mensch ist nicht Herr im
eigenen Hause”. Der Teufel hat Tiergestalt, ist Stier oder Bock, hat
Pferdefuß oder Drachengestalt. Die Ketzer, mit dem Teufel im Bunde,
verwandeln sich über Nacht in Wölfe und fressen Kinder. Triebhafte,
verführerische Hexen mit Katzen und Eulen – die Vagina der Frau als
Höllentor, der Teufel mit einem harten kalten Penis – wir betreten ein
wahnhaftes religiöses Panoptikum. Tiere sind hier tief diskreditiert.
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Das Tier, das aus dem Abgrund kommt (Offb. 13) und vom Reiter auf
dem weißen Pferd (K. 21) vernichtet wird – welches Seelenbild des
Menschen, der sich selber bekämpft und wenn er eine Schlacht gegen das
Tier in sich gewonnen hat, kommt es siebenfach zurück ins gereinigte
Haus und Urgewalten brechen um so schlimmer aus dem einzig denkenden
Wesen heraus.
Das Verdrängen unseres Tierseins haben wir mit dem Problem
der Leibfeindlichkeit teuer bezahlt. Den Körper, die Biologie, das Tier
in uns niederzuringen, welch aussichtsloses Unterfangen. Ubrigens
symbolisiert das grausige Ritual des Stierkampfes, den mythischen Kampf
des Niederringens der Natur in sich, eine Art Selbsttötung, ebenso wie
St. Georg den Drachen zu töten sucht. Wie viel Selbsthass kommt hier zum
Tragen. Dabei übertrifft die Gewaltbereitschaft des Menschen alles, was
es im Tierreich gibt.
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“Der kleine Gott der Welt bleibt stets von gleichem Schlag – Und ist so wunderlich als wie am ersten Tag. –
Ein wenig besser wür´d er leben, – Hätt’st du ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben;
Er nennt’s Vernunft und braucht’s allein – Nur tierischer als jedes Tier zu sein. “ (Goethe – Faust)
Es ist die leidvolle Erfahrung
mit uns selbst, dass die “Haut der Zivilisation” dünn ist. Faktisch aber
lehrt uns die Evolutionsbiologie (des Körpers und des Bewusstseins, das
bereits in der Tierwelt beginnt), den moralisch relevanten Fakt, dass
uns mehr mit den anderen Tieren verbindet als uns von ihnen trennt.
In der Physiologie ist das überdeutlich und die Verhaltens- und
Instinktforschung (K. Lorenz, I. Eibl-Eibesfeld, M. Eigen) haben
vorurteilsfrei und glänzend bestätigt, wie viel uns bis ins Seelische
hinein mit der anderen Lebenswelt verbindet.
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Wir verfügen über angeborene Verhaltensmuster und Instinkte,
ohne die wir keinen Tag überleben könnten. Sie sind biologisch
eingeprägt und ererbt. Konrad Lorenz spricht von “moralanalogem
Verhalten”, das sich in der Tierwelt findet:
selbstloser Einsatz für den Artgenossen, tiefe
Bindungsfähigkeit bei sozialen Tieren, das Schonungsverhalten in
Unterwerfungsgesten, die aufopfernde Mutter/Elternliebe in der
Brutpflege usw. Jeder Tierhalter weiß um Gewissensreaktionen eines
Hundes. Man kann im Tier, wenn man es kennt viel Eigenes entdecken:
Territorialverhalten (Platzhirsch), Herdentrieb oder Imponiergehabe vor
dem anderen Geschlecht, Aggressionsverhalten (Lorenz: “Das sogenannte
Böse”) die frühkindliche Prägungszeit.
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Wir erkennen unglaubliche
Leistungen der Tierwelt in Sinnesfunktionen und Intelligenz und je
weiter die Naturwissenschaft fortschreitet, ob in Molekularbiologie oder
Genforschung, desto näher rückt uns unsere animalische Verwandtschaft.
Sehen wir gar die Primatenfeldforschung, die mit Namen wie Jane Goodall
oder Christophe Boesch (Leipzig) verbunden ist, erfahren wir so viel
Menschliches in unseren nächsten Verwandten, das uns auch uns selbst
tiefer verstehen lässt. (Bis hin zu gleichgeschlechtlicher Liebe, die
sich auch im hochdifferenzierten Sexualverhalten unserer Verwandtschaft
findet).
Leider hat die Wissenschaft
kaum zu tieferer moralischer Wahrnehmung der Tiere geführt oder zur
Aufgabe des Machtmonopols über sie. Wenn aber der biologische, mentale
und psychologische Verwandtschaft zwischen Menschen und Tieren immer
deutlicher wird, ist auch jede separate Ethik unzureichend, dann wird
Ethik unteilbar.
Quelle nicht mehr bekannt.
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Gruß Hubert